Unser Internet: Sascha Lobo über Datenschutz und die „Netzgemeinde“
Vom 6. bis zum 8. Mai fand in Berlin die re:publica statt. Ursprünglich einmal als Treffen deutscher Bloggerinnen und Blogger geplant, hat sich die re:publica zu einer wichtigen internationalen Konferenz zur „digitalen Gesellschaft“ entwickelt. Vordenker des Netzes sollen auf der re:publica sprechen, die aktuellen Entwicklungen der digitalen Welt reflektiert werden. Sascha Lobo redete dort „zur Lage der Nation“. Im letzten Jahr sprach er in ähnlicher Rolle bereits auf der Konferenz, eine scharfzüngige Rede, die vor allem viele Lacher provozierte. In diesem Jahr war er ernsthafter, er sprach über das „freie Netz“, über Datenschutz, die NSA-Bespitzelung und ausführlich darüber, wie schlecht die „Netzgemeinde“ organisiert und finanziert sei.
Er gebrauchte das Bild einer Bekassine, einer Schnepfenart, deren Schutz besser finanziert sei als der Schutz eines „freien Netzes“. Zwar werde nun über Datenschutz gesprochen, doch Geld sammle keiner ein, gute Lobbyarbeit müsse allerdings finanziert werden. Die Rede von Lobo fand eine außergewöhnliche Resonanz im Netz, die Reaktionen gingen allerdings weit auseinander.
Auf dem Blog nerdcore, auf dem das vollständige Video der Rede zu sehen ist, wird Lobos kämpferische Art hervorgehoben. Zumeist werde das Thema allzu vorsichtig angefasst. Lobo nenne dagegen Verantwortliche in der Politik, die am Abbau der Grundrechte beteiligt seien, wie Angela Merkel oder Peter Altmaier, beim Namen, und rufe zu wirkungsvollen Aktionen auf, die sich nicht darin erschöpfen, ein neues Plugin zu installieren. Es geht eben darum, endlich Druck auszuüben – oder einen Sog zu erzeugen, der dann mitreißt.
Das Problem sei, dass bislang der Funke nicht übergesprungen ist. Deshalb genieße die Bekassine eben besseren Schutz als unsere Daten. Dort sei die Dringlichkeit erkannt worden, beim Netz vielleicht auch, aber es folge nichts daraus. Diesen Aspekt hebt Gunnar Sohn auf Ich sag mal besonders hervor. Die Geheimdienste würden die Daten mehr und mehr nutzen, um Profile anzulegen. Damit sollen Verbrechen vorhergesagt und idealerweise verhindert werden. Das führe letztlich zu einer Präventivgesellschaft, die sich den Prognosen von Computern unterwerfe. Doch dem Widerstand gegen diesen Umbau der Gesellschaft fehlt eine Geschichte, ein Narrativ, ein Symbol, eine Personifikation. Das gesamte Problem bleibe abstrakt, es ist nicht greifbar und deshalb bleibt der Protest aus.
Daniel Rehn sieht die gesamte von Lobo befeuerte Diskussion um „unser Netz“ aus einem anderen Blickwinkel: Es sei nie „unser Netz“ gewesen. Von jeher sei es das Netz von Unternehmen gewesen, nicht das Netz der Nutzer. Der Idealismus des Netzes ist bei Rehn zumindest fragwürdig, obgleich er überhaupt nicht bestreitet, dass Grundrechte fatalerweise beschnitten werden durch Bespitzelungen. Die große Idee eines freien Netzes hat eine andere Seite für den, der durch Bloggen sein Geld verdient. Hier ist von vorneherein ein gewisser Pragmatismus im Spiel. Man könnte das auch als „Erdung“ bezeichnen, wie es Christian Spließ auf Nur mein Standpunkt tut. Spließ betont, wie sehr die gesamte Diskussion die Diskussion innerhalb einer Blase sei. Außerhalb werde Sascha Lobo kaum wahrgenommen.
Wird die gesamte Bespitzelung zu sehr aufgebauscht? Oder ist dieser Gedanke, es sei nur aufgebauscht, gerade das Problem, das daraus resultiert, dass die Bespitzelung eben nicht greifbar, fühlbar oder zu riechen ist?
Hadmut Danisch setzt sich eingehend, von verschiedenen Seiten, mit Lobos Rede auseinander. Einerseits relativiert er das Problem: Er geht von Lobos Bekassine aus, und dreht dessen Wertungen um. Die Bekassine sei ein Vogel und ihr Schutz unbedingt notwendig, weil der Schutz der Natur notwendig sei. Natur ist lebensnotwendig. Das Internet dagegen sei dies nicht. Da ist wieder die pragmatische Sichtweise. Danisch sieht das Netz in erster Linie als Unterhaltungsmedium an.
Andererseits wirft er Lobo vor, er spiele sich nun, nach dem Fall Snowden auf, und beweise damit, dass er von dieser Seite des Netzes überhaupt nichts verstehe. Denn das Thema Überwachung sei rund zwanzig Jahre alt und werde von Verschlüsselungsexperten bereits lange intensiv diskutiert. Nur hätten sich die Medien dafür nicht interessiert. Der Protest richtet sich also, nach Danisch, gegen die Falschen. Der Skandal müsste vielmehr heißen: Warum erfahren wir das erst jetzt? Warum habt ihr nie darüber berichtet?
Lobos Rede spaltet das, was als er als Netzgemeinde zusammensehen wollte. Besorgnis, einen tiefen gesellschaftlichen Einschnitt einfach zu verschlafen, auf der einen Seite. Es gebe wichtigeres, sagt die andere Seite. Wohin die Datenskandale führen, bleibt zu beobachten und auch, ob der Anstoß von Lobo und anderen etwas bewegt.